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Warum Carl Barks der beste Disney-Künstler ist



Ein Panel ist kein Gemälde. Es steht immer schon in einem narrativen Zusammenhang, innerhalb dessen ihm eine spezifische Bedeutung und Funktion zukommt. Natürlich kann man es für sich genommen betrachten und dabei einen gewissen ästhetischen Genuss empfinden. Da es jedoch zwangsläufig über sich selbst hinausweist und sich nur mit Bezug auf das zuvor Erzählte vollständig erschließt, können wir ihm durch eine isolierte Betrachtungsweise letztendlich niemals uneingeschränkt gerecht werden. Während wir somit als Leser jedes Bild vor unserem geistigen Auge in einen mehr oder weniger weiten Kontext einbetten müssen, wenn wir es verstehen wollen, wird der Aktionsradius der Figuren durch die Grenzen des dargestellten räumlichen Ausschnitts eingeschränkt.
Sinnbildlich hierfür steht Donalds Gestik in dem von mir ausgewählten Panel, welches der 1952 entstandenen Abenteuerstory "Jagd nach der Roten Magenta" entnommen ist. Sein ausgestreckter Arm richtet sich kraftlos auf dasjenige, was sich außerhalb des Panels befindet. Für ihn ist es in diesem Augenblick das Unerreichbare und seine Armbewegung folglich ein Ausdruck uneingestandener Ohnmacht. Es ist eine einfache Geste, die gleichwohl ein starkes Gefühl vermittelt. Ihr ganzes emotionales Gewicht erhält sie derweil erst durch das Zusammenspiel zwischen dem Gezeigten, demjenigen, worauf das Gezeigte sich bezieht und schließlich dem Hintergrundwissen, das sich der aufmerksame Leser bei der Lektüre dieser und anderer Geschichten von Barks angeeignet hat. Erst dadurch nehmen wir Donalds verzweifeltes Entsetzen nicht bloß interessiert oder gar amüsiert zur Kenntnis, sondern leiden aus vollem Herzen mit ihm mit.
Es ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, Reaktionen dieser Art beim Leser hervorzurufen, zumal der Anlass für Donalds Zusammenbruch vergleichsweise trivialer Natur zu sein scheint. Nüchtern gesehen könnte man hier durchaus sagen: "Gut, Gustav hat ihm eine überaus wertvolle Briefmarke weggeschnappt, ohne einen Finger zu krümmen. Na und! Es gibt Schlimmeres." Dass es Barks dennoch gelingt, uns an Donalds Schicksal Anteil nehmen zu lassen, bezeugt sein meisterhaftes Geschick im Umgang mit den Figuren. Gerade hierin liegt die meiner Meinung nach eindrucksvollste Stärke des ‚Duckman’. Beispielhaft lässt sich das an dem oben stehenden Panel verdeutlichen. Mit einfachen Mitteln entfaltet das Bild bereits für sich betrachtet eine gewisse emotionale Wucht: Der nach hinten kippende Körper Donalds, seine nur zu einem kleinen Spalt und unter Mühen geöffneten Augen und die hilflose Armbewegung bringen die ihm entgleitende Kontrolle über das eigene Handeln prägnant zum Ausdruck und veranschaulichen auf diese Weise ein Gefühl der Ohnmacht, das wir auch dann empfinden, wenn wir die Vorgeschichte nicht kennen.
Die wahre Könnerschaft des ‚guten Zeichners’ lässt sich jedoch erst dann ermessen, wenn wir das Panel in seinen narrativen Gesamtzusammenhang einordnen und als vorläufigen Kulminationspunkt der ihm vorausgehenden Ereignisse auffassen. Dann zeigt sich nämlich, dass Donalds Reaktion nicht nur hinsichtlich der zeichnerischen Umsetzung zu überzeugen weiß, sondern auch als psychologisch folgerichtig erscheint. Obwohl er weder Mühen noch Gefahren gescheut hat, um sein Ziel zu erreichen, wird nicht er, sondern der untätige Gustav belohnt. Sein Nervenzusammenbruch ist vor diesem Hintergrund absolut nachvollziehbar, das Mitgefühl des Lesers hat er sich redlich verdient. All das ist indes nur möglich, weil Barks jeden einzelnen seiner Erzählschritte im Einklang mit den Charaktereigenschaften der agierenden Figuren und aus der Logik ihrer Motive heraus entwickelt, eine Qualität, die nicht nur "Jagd nach der Roten Magenta", sondern auch der Großteil seiner anderen Geschichten aufweist. Aus diesem Grund zeichnen sich seine Storys stets durch ein hohes Maß an psychologischer Plausibilität aus und erlauben es dem Leser, mit den Figuren mitzufiebern.
Seinem Gespür für die Psychologie der Figuren verdanken wir zudem die Weiterentwicklung der vorhandenen Charaktere. In seiner Hand entwickeln sich Donald und die Neffen bereits im Laufe der 1940er Jahre zu facettenreichen Persönlichkeiten, deren Verhältnis zueinander längst nicht mehr auf die antagonistische Dynamik der Anfangsjahre reduzierbar ist. Auch dieser Aspekt wird an unserem Beispielpanel deutlich: Ohne zu zögern kommen Tick, Trick und Track ihrem Onkel zu Hilfe und stützen ihn, als er zu kollabieren droht. In dieser Handlung manifestiert sich ein Sinn für Solidarität und Verantwortung, der den Lausejungen der frühen Jahre vermutlich fremd gewesen wäre. Heutzutage neigen wir dazu, Details dieser Art zu übersehen, da wir sie für selbstverständlich halten. Die Grundlage für diese Wahrnehmungsweise wurde um die Mitte des letzten Jahrhunderts von Carl Barks geschaffen.

von Kopekobert Dukofjew



Zuletzt aktualisiert: 30.12.2013, 22:37
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