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Interview mit Boemund von Hunoltstein

Im Gegensatz zu unseren anderen Interview-Partnern ist Boemund von Hunoltstein, geboren am 21. März 1958, weder ein Autor noch ein Zeichner noch ein Übersetzer von Disney-Comics. Aber: Er kennt sich so gut mit Entenhausen und dessen Bewohnern aus wie kaum ein Zweiter. Besser bekannt dürfte er vielen unter dem Pseudonym "Plattnase" sein, mit dem er im Disney Comics Forum nicht nur den Leuten hilft, die nach einer bestimmten Geschichte suchen, sondern immer wieder mit kolossalen Kenntnissen und tollkühnen Theorien über die Stadt an der Gumpe auffällt. Selbst die Redaktion des Donald Duck Sonderheftes konsultiert den Experten mittlerweile bei besonders schwierigen Fragen im Leserforum (nachzulesen in Heft 268).
Des Weiteren engagiert sich Boemund von Hunoltstein auch für die Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus (kurz D.O.N.A.L.D.) und wurde zu deren 15. Ehrenmitglied ernannt (im Donaldisten-Forum trifft man ihn übrigens unter dem Pseudonym "Das Schwarze Phantom" an). Zu seinen bekanntesten Werken für den Donaldisten zählen das leider vergriffene Sonderheft "Ehapa durchleuchtet: Manipulative Eingriffe in die deutschen Disney-Comics", der "Micky Maus Index" oder auch der "Index der ‚dünnen‘ Taschenbücher".

Im Dezember 2010 haben wir per Mail ein Interview mit ihm geführt – in dem er jedoch deutlich mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet hat. ;-)

1) Seit wann sammelst du Disney-Comics? Gab es auch eine Zeit, in der du nicht gesammelt hast? Oder gab es Momente, in denen du gesagt hast "So, jetzt ist genug"? Und wie ist es dazu gekommen, dass du dich so intensiv mit den Comics beschäftigst?


(Bild: outducks.org)
Mein erstes selbstgekauftes MM-Heft war das Heft 46/1965, das sich auch heute noch als Original in meiner Sammlung befindet. Bis auf ein paar Gebrauchsspuren ist es noch recht ordentlich erhalten. In den frühen 70er Jahren hatte ich dann das Sammeln aufgehört. Erst nach dem Abitur bekam mein Interesse an den Disney-Comics wieder neuen Auftrieb. Ursache war wohl vor allem die Gründung der D.O.N.A.L.D., von der ich erst im Jahre 1978 Kenntnis erlangt hatte - durch ein rororo-Taschenbuch von W. Fuchs/R. Reitberger ["Comics-Handbuch"]. Da wurde mir bewußt, daß ich nicht der Einzige mit meinem Hobby war.

Die intensive Beschäftigung mit Comics hat ihre Ursache wohl darin, daß mich "intellektuelle" Beschäftigung stets mehr interessiert hat als "körperliche" Beschäftigung. Oder anders ausgedrückt: ich bin schon seit Kindheit ein Sportmuffel. Schon in der Schule war Sport mein ultimatives Haßfach. Und wenn man mit Sport nichts anfangen kann, dann verlegt man sich eben auf "geistige" Hobbies...

2) In den Foren, in denen du aktiv bist, gibst du zwar viele interessante Fakten, umso seltener kann man aber eine Meinung von dir lesen. Was sind denn deine persönlichen Lieblingskünstler? Welche hältst du dagegen für überschätzt?
"Lieblingskünstler" habe ich eigentlich keine. Für mich geht es mehr um Inhalte. Wenn sich jemand im Fernsehen bestimmte Sendungen anschaut, etwa Naturfilme, dann geht es ihm wohl auch weniger um den Sprecher, um den Autor oder um den Moderator, sondern eben um den Inhalt. Analog steht für mich eben Entenhausen im Vordergrund, nicht so sehr der Zeichner. Nichtsdestoweniger habe ich natürlich Favoriten: etwa Strobl, Murry, Barks, Bottaro oder Massimo de Vita. Überschätzt werden m.E. Cavazzano, Barks und natürlich Don Rosa.

3) Sammelst du eigentlich noch alle deutschen Disney-Reihen oder lässt du zum Beispiel reine Nachdruck-Reihen wie z.B. das neue "Donald Duck & Co." aus? Wie stehst du als traditioneller Heft-Leser den hochwertigen aber teuren Hardcover-Bänden der Ehapa Comic Collection gegenüber?

Ich sammle im Prinzip seit 1971 nur noch sporadisch bestimmte Hefte bzw. Taschenbücher. Glücklicherweise gibt es unter den bayerischen Donaldisten ein paar Komplettsammler, bei denen ich mir schon seit den späten 80er Jahren die Hefte regelmäßig ausleihe. Ich schreibe mir dann die Fakten, die mich interessieren, einfach raus bzw. fotokopiere die relevanten Seiten. Neuerdings kommt statt des Fotokopierens allerdings der Scanner zum Einsatz.

Nachdruck-Reihen wie "Donald Duck & Co." blättere ich höchstens am Bahnhofskiosk durch. Die hochwertigen Hardcover-Bände lasse ich links liegen. Meist handelt es sich hier ja um Barks-Geschichten, die bereits x-mal in anderen Reihen erschienen sind. Wenn ich von einer Barks-Geschichte eine TGDD- oder MM-Fassung besitze, dann genügt mir das voll und ganz!

4) Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Fakten und Geschehnisse aus unzähligen Geschichten du wiedergeben kannst. Wie ist da dein System? Machst du dir zu jeder einzelnen Geschichte alle möglichen Notizen oder weißt du solche Dinge wie Titel oder Veröffentlichung gar aus dem Stegreif? Reicht es zu einem Auftritt bei "Wetten, dass …?" ;-)

Das ist unterschiedlich. Manchmal kann ich komplizierte Fragen aus dem Stegreif beantworten, manchmal kann ich in meinem Archiv die Antwort finden. Zu jeder einzelnen Geschichte habe ich natürlich keine Unterlagen - dazu bräuchte man ja schon fast ein Archiv von der Dimension eines Geldspeichers...

5) Nun ist es ja so, dass das Entenhausener Universum eine Welt der Widersprüche ist: Micky und Donald wohnen stets in verschiedenen Straßen, die Größe und Einwohnerzahl Entenhauens ist mitunter sehr schwankend und auch die Angaben von Dagoberts Vermögen variieren mitunter stark. Findest du es schlecht, dass es nur sehr wenige einheitliche Regelungen gibt und jeder Autor quasi seine eigene Vorstellung von Entenhausen hat oder macht für dich gerade das, also die Widersprüchlichkeit des Universums, den Reiz aus, dich näher damit zu beschäftigen?


Typisches Beispiel für die gegenseitige Ausschaltung der Nachbarn in "Gepumpter Glaserkitt"
Die vielen Widersprüche sind natürlich ärgerlich. Aber produktionstechnisch geht es halt nicht anders. Wenn alles immer einheitlich aussehen müßte, wären die Zeichner in ihrer Kreativität zu sehr eingeschränkt. Irgendwie ist es natürlich auch ein Reiz, die vielen unterschiedlichen Darstellungen miteinander zu vergleichen. Ich habe aber in den letzten Jahren mehr und mehr erkannt, daß hinter den Geschichten aus Entenhausen im Grunde Verschlüsselungen stecken. Es kommt also gar nicht so sehr auf die Details in den Geschichten an (etwa, wie Donalds Haus aussieht), sondern auf die hintergründigen Aussagen. Um ein Beispiel zu nennen: Bei den Geschichten zwischen Donald und seinem Nachbarn Zorngiebel geht es eigentlich weniger um einen Konflikt unter Nachbarn, sondern hier wird quasi die "freie Marktwirtschaft" parodiert. Donald und Zorngiebel symbolisieren zwei Wirtschaftsunternehmen der gleichen Branche (daher "Nachbarn"), die sich gegenseitig bekämpfen - oder sich vorübergehend auch mal gegen einen Dritten zusammenschließen. Häufig enden diese Geschichten mit der totalen Vernichtung beider Rivalen: die Grundstücke gleichen dann einem Schlachtfeld. Hier wird quasi vorgeführt, wohin "freie" (d.h. unregulierte) Marktwirtschaft führt, nämlich ins Chaos! So gesehen haben Disney-Comics immer auch ein bißchen eine moralisierende Funktion!

6) Weitere Widersprüche zeigen sich in der Verwandtschaftslage der Ducks. Dazu zwei Fragen: a) Wie stehst du dem Stammbaum von Don Rosa gegenüber?

Ich akzeptiere grundsätzlich nur G e s c h i c h t e n als Forschungsgrundlage. Der Rosa'sche Stammbaum kommt meines Wissens in keiner Geschichte vor, sondern ist eine Sonderarbeit von Rosa, der ich somit keine Beachtung schenke. Außerdem ist Rosas Sichtweise doch immer sehr "barkslastig".

b) Wie ist deine Antwort auf die leidliche und unter Fans viel diskutierte Frage, ob Oma Duck und Dagobert Geschwister sind oder nicht? In "Jugenderinnerungen" wird in der deutschen Übersetzung immerhin Dagobert explizit als Dorettes Bruder bezeichnet, was im amerikanischen Original meines Wissens nach nicht der Fall ist. Das führt wiederum zu der Frage, was hier mehr gewichtet werden sollte: Zählt für dich nur die Übersetzung von Fuchs oder hat der Originaltext von Barks Vorrang?

Das besagte Schlusspanel aus Barks' "Jugenderinnerungen"

Für mich zählen prinzipiell nur die deutschen Fassungen! Und es war eine gute Lösung, daß man in der deutschen MM immer einen Sonderweg gegangen ist, und die Geschichten "teutonisiert" hat. Ich finde den heutigen Trend, wonach alles immer originalgetreu zu sein hat, nicht gut! Durch den deutschen Sonderweg konnte man sich immer viel besser in die Geschichten hineindenken.
Mich hat als Kind eher noch gestört, daß in den Geschichten viel zu viel "Fremdartiges" enthalten ist. Um zwei Beispiele zu nennen: Es gibt in Entenhausen kaum Lastwägen mit Anhänger! Entweder sieht man Solo-Lkw oder manchmal Sattelschlepper. Aber Lkw mit Anhänger (wie sie etwa zum deutschen Straßenbild gehören) gibt es quasi nicht. Selbst im Güterfernverkehr werden in Entenhausen immer nur Solo-Lkw eingesetzt. Ein zweites Beispiel: sobald in Entenhausen ein Arzt oder Psychotherapeut auf den Plan tritt, wird stets der gleiche Running Gag abgespult. Nachdem die Untersuchung beendet ist, zückt der Doktor ein Blatt Papier und präsentiert seinem Patienten die (meist saftige) Honorarrechnung. Auf den deutschen Leser, der gewohnt ist, daß alles von der Krankenkasse gezahlt wird, wirken solche Szenen immer etwas abartig... So gesehen könnte man die Geschichten wegen mir ruhig n o c h etwas "deutscher" machen...

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Für mich sind Dagobert und Oma Duck zweifelsfrei Geschwister! Lediglich Don Rosa tanzt in dieser Frage aus der Reihe! Das amerikanische Original hat für mich keine Relevanz. Und auch bei der Übersetzung ist es mir eigentlich egal, ob sie von Fuchs oder jemand anderem ist.

7) Was sagst du eigentlich zu verschiedenen Theorien deiner Donaldisten-Kollegen – z.B. zum Gedanken des Stella-Anatium-Universums? Und bist du genau wie "Grobian Gans" auch der Meinung, dass Gustav Gans homosexuell ist? Schließlich sind ja solche Mutmaßungen eigentlich eher "Glaubenssache" und können in den Comics nicht direkt eindeutig belegt werden, oder?

Nun ja - der Donaldismus ist eine Spielwiese, auf der sich viele austoben. Und das ist gut so. Der Donaldismus ist tolerant und akzeptiert im Grunde jede noch so absurde Auslegung. Man muß sich solchen Auslegungen ja nicht anschließen. Ich persönlich beschreite einen Sonderweg, indem ich "Comic-Forschung" betreibe, d.h. ich betrachte Entenhausen als Fiktion. Der Mainstream des Donaldismus geht dagegen vom sog. "archäologischen Ansatz" aus, setzt Entenhausen also als "existent" voraus. Die These von Grobian Gans, wonach Gustav Gans homosexuell sein soll, ist natürlich vor dem Hintergrund der damaligen Zeit (Jugendrebellion, 68er Generation) zu sehen. Aus den Geschichten läßt sich daraus nichts ableiten, denn Sexualität ist in Disney-Comics ein Tabu. Grobian Gans' "Psychogramm" ist ja weniger eine Forschungsarbeit über Entenhausen, sondern mehr ein satirischer Beitrag zum damaligen Zeitgeist, insbesondere zur "Kritischen Theorie" der Frankfurter Schule.



Zuletzt aktualisiert: 30.01.2012, 00:59
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