Interview mit Fausto Vitaliano
Viele Fans des Lustigen Taschenbuches sind der Meinung, dass die darin enthaltenen italienischen Geschichten seit den 90ern massiv an Qualität verloren haben. Das wollen wir zwar gewiss nicht abstreiten, doch längst nicht alles, was heutzutage aus dem schönen Italien kommt, ist banal, langweilig und schlecht – es gibt durchaus den einen oder anderen Hoffnungsträger unter den Autoren. In erster Linie fallen hier natürlich – völlig zu Recht – die Namen Andrea Castellan und Tito Faraci, allerdings gibt es einen weiteren Autor, der in letzter Zeit mit überragenden Geschichten aufgefallen ist: Seit 2002 schreibt Fausto Vitaliano für das "Topolino" und hat dort vor allem mit seinen Serien für Aufsehen gesorgt. Mit "Agent DoppelDuck" erwies sich eine seiner Serien auch in Deutschland als voller Erfolg. Doch leider sind abgesehen davon nur sehr wenige der bislang über 100 Disney-Comics von Vitaliano in deutscher Sprache erhältlich.
Dennoch haben wir ihm elf Fragen gestellt, in denen es unter anderem um DoppelDuck, die bald im LTB veröffentlichte Serie "Onkel Dagoberts Millionen", seine Affinität zu Habakuk und um die Krise im "Topolino" geht. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und uns in diesem Thread ein Feedback dazu! ;-)
1) Zunächst würden wir gerne wissen, wie ist eigentlich dazu gekommen, dass Sie nun schon seit einigen Jahren fürs Topolino als Autor tätig sind. Beschreiben Sie doch einfach Ihre bisherige Karriere in groben Zügen! ;-)Dennoch haben wir ihm elf Fragen gestellt, in denen es unter anderem um DoppelDuck, die bald im LTB veröffentlichte Serie "Onkel Dagoberts Millionen", seine Affinität zu Habakuk und um die Krise im "Topolino" geht. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und uns in diesem Thread ein Feedback dazu! ;-)
Ich arbeitete zunächst als Musikjournalist für einen privaten Radio-Sender sowie einige Zeitschriften. Später wurde ich Teil der Autorenriege des Kinderprogramms des Fernsehsenders "Italia 1". Das Zusammentreffen mit Disney Italia war ein glücklicher Zufall. Ein guter Freund von mir wurde Redakteur und bat mich darum, einige Artikel für das "Topolino" zu schreiben. Meine Mitarbeit wurde immer intensiver, bis mich schließlich Claretta Muci, die damalige Herausgeberin, fragte, ob ich nicht auch Geschichten schreiben wolle. So besuchte ich einen Autoren-Lehrgang an der "Accademia Disney" - die eigene "Schule" von Disney-Italia, in der die Autoren und Zeichner ausgebildet werden. Nachdem ich den Kurs, der etwa eineinhalb Jahre dauerte, absolviert hatte, begann ich mit meiner regelmäßigen Tätigkeit als Autor.
Alan Ford, Vitalianos erster Comic
2) Waren Sie schon von klein auf Comic-Fan und Leser des "Topolino"? Wenn ja, welche Künstler haben Ihnen besonders imponiert bzw. welche beeinflussen Sie auch heute noch in ihrem Werk?
Mein erster Comic war "Alan Ford", den ich mit sieben oder acht Jahren zu lesen begann. Obwohl es mir nicht gelang alle Scherze zu verstehen (Alan war ein wirklich revolutionärer Comic), glaube ich, dass er mitgewirkt hat, meinen jetzigen Humor zu formen, den ich in meiner Arbeit verwende. Ich war nie eine Leseratte von Comic-Serien, aber ich las sehr viele Topolinos. Ich habe zwar aufgehört Alan Ford zu lesen, aber die Disney-Charaktere haben mich nie mehr losgelassen.
Ich kann weder sagen, von welchem Künstler, wenn das so wäre, ich beeinflusst worden bin, noch ob es heute einen spezifischen Autor gibt, der mich inspiriert. Die Gruppe der Personen, die für das Topolino arbeiten ist sehr umfassend und es handelt sich um Künstler mit außergewöhnlichem Talent. In einem Team wie diesem mitwirken zu können, ist ein außerordentliches Privileg. Du hast die Möglichkeit, jeden Tag etwas Neues zu lernen.
3) Ende 2008 erschien bei uns der erste Teil der Serie "Agent DoppelDuck" von Ihnen und Marco Bosco. Aktuell sind bei uns nun die ersten sechs Teile erschienen, weitere werden noch folgen. Und die Serie kam sowohl bei jungen Lesern als auch bei eingefleischten Fans außerordentlich gut an! Was, denken Sie, macht "Agent DoppelDuck" so erfolgreich?
DoppelDuck ist die Frucht langer Arbeit einer Gruppe, in der, neben mir und Marco Bosco, verschiedene andere Autoren auch ihren Teil dazu beigetragen haben: Ich nenne nur Andrea Freccero, der die ursprüngliche Idee hatte, und Max Monteduro, der mit seinen Farben jedes Mal diese spezielle Atmosphäre kreiert, die DoppelDuck so einzigartig macht.
Ich glaube, dass der Aspekt (oder einer der Aspekte), der gut in DoppelDuck funktioniert, ist das Wechseln des Humorniveaus der typischen Donald-Geschichte mit der klassischen Agentenstory. Der Gegensatz zwischen der Schwäche und des Unglücks Donalds und der totalen Sicherheit des Geheimagenten DoppelDuck erzeugt einen einzigartigen Mix. Übrigens war dies auch das Geheimnis der Paperinik-Serie, in der Donald sich in einen Superhelden verwandelt, aber nicht den Charakter verliert, den alle Leser kennen und lieben.
4) Im Februar diesen Jahres erschien eine weitere Serie von Ihnen – und zwar "Dr. Mouse", was eine Parodie auf die Fernsehserie "Dr. House" darstellt. Da ich diese Serie auch jede Woche schaue, hoffe ich, dass "Dr. Mouse" irgendwann auch hier in Deutschland veröffentlicht wird... Wird es eine Fortsetzung der Serie Ihrerseits geben? Oder planen Sie noch andere bekannte TV-Serien zu parodieren? Wie wär’s mit "Monk"? ;-)
Interessante Rollenaufteilung: Minni als Cuddy, Rudi als Chase, Klarabella als Cameron sowie Goofy als Foreman
Von Zeit zu Zeit denke ich an eine "Mono-Parodie", in der ich verschiedene Serien vermixe: Desperate Housewives, Lost, Dexter, E.R. etc. Bis jetzt gelang es mir nicht, etwas zu dem Thema zu schreiben. Aber wer weiß, was uns in Zukunft gelingen wird...
5) Sie sind ja nun auch Initiator der neuen Serie "Topolinia 20802", welche zumindest in Sachen Name an "Beverly Hills 90210" erinnert. Wir wissen nur so viel darüber, dass Micky hier in einer neuen Umgebung auftritt und sein Charakter etwas anders definiert ist als in den üblichen Comics. Können Sie uns Genaueres über diese recht interessant aussehende Serie erzählen? Wollen Sie damit Mickys Charakter wieder etwas ansprechender gestalten oder was war und ist ihre Motivation für diese Serie?
Es gibt keine Verbindung zwischen 20802 und 90210, wenn schon, dann nur in den Zahlen. In dieser Serie macht es sich bemerkbar, dass Micky zwar viele Abenteuer erlebt, dafür aber nie eine regelmäßige Arbeit ausgeübt hat. Er ist immer ein außerordentlicher Dilettant gewesen, möchte aber nun eine richtige berufliche Qualifikation erwerben. Er möchte sagen können: "Ich bin jemand!" Deswegen entscheidet er in ein anderes Stadtviertel zu ziehen - dessen Postleitzahl 20802 ist - in dem er als Journalist bei der Alltagszeitung "Topolinia Daily" eingestellt wird. In dieser neuen Umgebung kann Micky nicht mehr auf das soziale Netz seiner alten Freunde und seines Rufes zählen. Er ist alleine und muss sich selbst helfen. Es ist so, als müsse er alles noch mal neu lernen. Aber es scheint, als dass er das gut schaffen wird. Der Micky dieser Serie ist ein Charakter der gleichzeitig neu und alt ist. Er ist sicherlich anders als der unbesiegbare Micky, der in den letzten Jahren präsentiert wurde, aber auch anders als der von Walsh und Gottfredson - unbedarft, sympathisch, unterhaltsam, mutig, reich an Unternehmungslust, aber auch zerbrechlich und weich. Ein Charakter, der Situationen meistern muss, die viel größer als er selbst sind. Er entscheidet sich, es zu probieren, wohl wissend, dass es sicher nicht so einfach werden wird.
6) Doch mit den Serien noch nicht genug: In LTB 399 startet bei uns in Deutschland ihr "Tutti i millioni di paperone" ("Onkel Dagoberts Millionen"). Sie sind ja damit beleibe nicht der erste, der sich mit der Vergangenheit von Dagobert Duck auseinandersetzt – man nehme nur Barks’ "Wiedersehen mit Klondike", Rosas "Sein Leben, seine Milliarden" oder auch "Glanz und Gloria derer von Duck" von Martina, Scarpa und Carpi.
Haben Sie sich in der Serie auf diese Geschichten bezogen bzw. sogar direkte Anspielungen darauf gemacht oder haben Sie eher Wert darauf gelegt, mit der Saga etwas Eigenes zu schaffen, das sich von den bisherigen Erzählungen abhebt?
Die von dir genannten Werke gehören einer Gruppe von Geschichten an, die in den meisten Fällen Gesamterzählungen sind. "Tutti i milioni di Paperone" ist einfach eine Sammlung zwölf einzelner Episoden aus dem Leben Dagoberts, die keine Verbindung zu den bereits erzählten Geschichten außergewöhnlicher Autoren haben wollen (oder können). Meine einzige Ambition ist, dass sich der Leser bei diesen Episoden unterhalten fühlt und darüber lächeln kann. Nicht mehr.
7) Sie sind ein sehr vielseitiger Autor, der es schafft, sowohl mit den Ducks, als auch mit den Mäusen gleichermaßen gut umzugehen. Bevorzugen Sie dennoch eines der beiden Universen? Und mit welchem Charakter arbeiten Sie persönlich am liebsten?
Die Enten sind sicherlich leichter zu handhaben und eröffnen viel mehr Erzählmöglichkeiten: Man denke nur an die Gagstorys mit Donald und Dussel oder an die Abenteuergeschichten mit Dagobert (mit Abstand mein Lieblingscharakter). Darüber hinaus sind die Enten zahlreich, während es im Mausuniversum fast nur Micky gibt. Allerdings finde ich, dass Micky große Möglichkeiten eröffnet, auf den Gebieten der Psychologie der Persönlichkeit und den Emotionen zu arbeiten. Er ist sicherlich ein sehr menschlicher Charakter.
Das Cover von Giorgio Cavazzano zu Vitalianos dritter Habakuk-Geschichte (Bild: outducks.org)
Es war Claretta Muci (die ehemalige Chefredakteurin, die ich schon genannt habe und bei der ich mich immer bedanken muss, mir die Möglichkeit gegeben zu haben, Disney-Autor zu werden), die mir angeraten hat, Habakuk wieder zu verwenden.
Ich kannte den Charakter und fand an ihm sehr interessant, dass er nicht ein anthropomorphes Tier wie alle anderen Disney-Figuren, sondern quasi ein Mensch war. In den Geschichten, die ich gelesen habe, um mich über ihn zu informieren, wurde Habakuk jedoch in einer für mich zu weichen Art gezeigt. Ich glaube, um ihm das Interesse der jungen Leser zurückzugeben, hat er es nötig zu übertreiben. Deshalb habe ich ihn sehr aggressiv und menschenfeindlich dargestellt. Ich habe ihm ein Haus weit entfernt von allen anderen "gebaut" und ihm die Erlaubnis gegeben auf jeden zu schießen, der zu nahe kommt. Habakuk alleine, allerdings, reicht nicht aus. Aber er passt bestens zu Dussel und dem Desaster, welches mit ihm einhergeht.
9) Da ich selber auch sehr gerne schreibe, würde mich sehr interessieren, wie Sie eigentlich auf die Ideen für die Geschichten kommen. Betreiben Sie da richtige Recherche-Arbeit bzw. suchen Sie in anderen Werken Inspiration? Oder steigen Ihnen die Ideen ganz plötzlich in den Kopf?
Und wie lange brauchen sie eigentlich so ungefähr, um eine Geschichte – sagen wir mal eine mit nur 30 Panel – zu schreiben?
Durch die neue Leitung der Topolino-Redaktion haben sich die Anforderungen an die Autoren ein bisschen geändert: Früher waren es die Autoren, die von selber ihre Ideen für die Geschichten präsentierten. Heute ist es in den meisten Fällen die Redaktion, die einen Autor fragt, eine Geschichte eines bestimmten Typs oder mit einem bestimmten Charakter zu schreiben. Das bedeutet aber nicht, dass die Autoren nicht mehr die Möglichkeit haben ihre Ideen vorzustellen. Alles andere als das.
Sofern ich mich erinnere, kamen mir die Anregungen für die Geschichten auf ganz natürliche Art und Weise. Manchmal scheint es, als ob sie direkt aus dem Himmel fielen. Ich habe nie komplett verstanden, wie diese Sache funktioniert, aber ich glaube, dass sie Teil unseres Gedächtnis ist, in welchem sich Bilder einlagern, die wir alltäglich sehen. An einem bestimmten Punkt werden aus diesen Situationen und Bildern, aus unerklärbaren Gründen, Ideen und dann schließlich Geschichten. Es scheint etwas Magisches zu sein, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich dieser Prozess von alleine ereignet. Der Autor ist einfach ein Medium. Die Ideen (und die Geschichten) existieren unabhängig von demjenigen, der sie dann schreiben wird. Ich erinnere mich, dass Jorge Luis Borges etwas Ähnliches gesagt hat.
In Anbetracht der Zeit schreibe ich ziemlich schnell. Für den Plot brauche ich nicht mehr als zwei oder drei Stunden. Ein Skript mit 30 Panels beansprucht mich für ein paar Tage.
10) Leider ist es so, dass Comics im Zeitalter von Computer, Handy und vielen weiteren elektronischen Unterhaltungsmedien bei den Kindern nicht mehr allzu gefragt sind. Sowohl in Deutschland, als auch in Italien und vielen anderen Ländern soll die Auflagenzahl der Disney-Comics teilweise drastisch zurückgegangen sein. Spüren Sie als Autor diese Entwicklung? Wurde von Disney Italia schon darauf entsprechend reagiert? Wie angeschlagen, denken Sie, ist das "Topolino" wirklich?
Das Thema, über das du sprichst ist ein wirkliches Problem, welches wir alle gezwungenermaßen meistern müssen. Die Verkaufskrise ist schwerwiegend und existierte bereits vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise des letzten Jahres. Die Herausforderung die Aufmerksamkeit der jungen Leser – immer mehr abgelenkt von Fernsehen, Telefonen, etc. – auf sich zu ziehen wird zunehmend schwieriger und scheint manchmal eine unmögliche Mission zu sein. Trotzdem ist es unsere Arbeit und wir müssen sie nach bestem Willen und Können machen.
Ich glaube dennoch nicht, dass das Risiko besteht, dass das Topolino untergeht. Die Verkaufszahlen – sowohl der abonnierten, als auch der am Kiosk verkauften Ausgaben – sind noch immer ansprechend, auch wenn sie weit von denen des letzten Jahrzehnts entfernt sind. Auf der anderen Seite kann die Krise auch als Möglichkeit gesehen werden. Es ist möglich, dass sich die Comics und deren Autoren in eine gewisse Richtung verändern. Auch wenn ich im Moment nicht exakt sagen kann, in welche.
DoppelDuck: Frech, frisch, aber auch unvorhersehbar und spannend
11) Und zu guter Letzt: An was für einer Geschichte arbeiten Sie aktuell? Über was darf man sich in Zukunft von Fausto Vitaliano freuen?
Zusammen mit meinen Kollegen Alberto Savini, Giorgio Salati und Tito Faraci schreibe ich gerade eine Mini-Serie von "Topolinia 20802", welche vier Episoden umfasst und im April nächsten Jahres im Topolino erscheinen wird. Außerdem arbeite ich an einer weiteren Doppel-Duck-Geschichte. Schließlich gilt es, das Geheimnis um die fehlenden drei Tage in Donalds Erinnerung zu lüften. Wer DoppelDuck kennt, weiß, wovon ich rede...
Wir bedanken uns für dieses interessante Interview, Herr Vitaliano!
Ich danke auch dir, Manuel, für die schöne Möglichkeit. Ich hoffe, etwas Interessantes erzählt und niemanden gelangweilt zu haben. Einen Gruß an dich und die Freunde deiner Seite.
Von 313er (Fragen) und Wolfgang Wasserhuhn (Übersetzung), Dezember 2009/Januar 2010
Zuletzt aktualisiert: 30.01.2012, 00:20