Warum Carl Barks der beste Disney-Künstler ist
Onkel Dagobert, der leere Blick schweift in die Ferne. Kein Hintergrund, kein Text – das mag auf den ersten Blick reichlich schlicht wirken. Und doch manifestiert sich in diesem einfachen, fast reduzierten Panel Carl Barks' ganze Zeichen- und Erzählkunst. "Der arme reiche Mann" ist aus dem Kanon der Barksschen Meisterwerke nicht wegzudenken. Dagoberts erster "eigener" Comic ist nicht nur ein spannendes Abenteuer, humorvoll und mit Gespür für's Timing in Szene gesetzt, sondern funktioniert vor allem auch als vielschichtige Charakterstudie eines idealistischen Milliardärs.
Gleich im ersten Panel sehen wir Dagobert, einem Seehund gleich, durch seinen Geldspeicher schwimmen, wie ein Maulwurf darin herumwühlen und sich sein Geld auf die Glatze prasseln lassen. Barks präsentiert seine Marotten, seine panische Angst vor Ratten, Motten und allem anderen Ungeziefer, das sich an seinem Geld vergreifen könnte. Der Leser kann nicht anders als leicht ungläubig zu staunen, wenn ausgerechnet dieser schrullige Kapitalist seinen Neffen über die wahren Genüsse des Lebens aufklärt. Und der einzig wahre Genuss, das ahnt man bereits seit der ersten Seite, ist das Geld. Am Ausgeben ist Dagobert nicht interessiert, das Geld wird zum Selbstzweck, das Anhäufen von Reichtum und der Genuss des angehäuften Reichtums und dem damit entstehenden Gefühl von Sicherheit zum Lebenssinn.
Ein geldgieriger Wirtschaftsmagnat – auf den ersten Blick ein reichlich schlechter Sympathieträger. Aber Barks stattet Dagobert mit zwei Eigenschaften aus, die ihm eine Menge Sympathiepunkte einbringen: Zum einen mit den bereits erwähnten Marotten, seine Gier erscheint nur selten wirklich boshaft, meist wird sie liebevoll überspitzt und vermag so dem Leser ein Schmunzeln zu entlocken; zum anderen mit einem unerbitterlichen Idealismus: "Ich bin reich geworden, weil ich zäher war als Zähsten und schlauer als die Schlausten. Und ich bin ein ehrlicher Mann dabei geblieben."
Wenn man die gesamte Geschichte als Portrait eines grimmigen, geldgierigen und dennoch liebenswerten Geschäftsmannes ansieht, erreicht die Charakterstudie auf der letzten Seite ihren Höhepunkt. Nach nervenaufreibender Verteidigung seines Vermögens gegen die Panzerknacker nimmt Dagobert sein anfängliches Gespräch mit Donald über die Annehmlichkeiten des Geldes wieder auf. Donald aber ist nur an seinem Lohn interessiert, begreift seinen Onkel, diesen kauzigen alten Mann, für den ein Geldbad das höchste der Gefühle zu sein scheint, nicht. "Du bist ein armer reicher Mann", sind seine letzten Worte. Dagobert bleibt allein, vor seinen Geldmassen, zurück. Es folgt das ausgewählte Panel. Sichtlich getroffen bleibt er resigniert stehen, beginnt an sich zu zweifeln. Sein Weltbild droht in sich zusammen zu fallen. Macht das reine Horten von Geld überhaupt Sinn? Kann es ihm die sehnlichst erwünschte Sicherheit tatsächlich bieten? Ist er nicht tatsächlich nur ein armer Mann?
Ohne ein einziges Wort, nur mithilfe dieses einen Panels und seinem unvergleichlichen Gespür für Mimik gewährt Barks Einblick in Gedanken und Zweifel eines sonst von seinen Idealen so fest überzeugten Mannes. Dagoberts Antwort auf all die aufgeworfenen Fragen ist eindeutig: energisch wirft er Stock, Zylinder und alle Zweifel von sich und springt einem Seehund gleich in sein geliebtes Geld. Ob nun als Trotz, weil er seinen Zweifel nicht zu bewältigen vermag oder aus tiefer Überzeugung muss jeder Leser für sich entscheiden.
von Milou
Zuletzt aktualisiert: 30.12.2013, 13:29