Grundsätzliches zu Barks' Zehnseitern
Das "Ausgerechnet"
"Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein." – Dieses Zitat geht auf einen Zeitgenossen von Carl Barks zurück: Friedrich Dürrenmatt formulierte es in seinem Text "21 Punkte zu den ‚Physikern‘". Ob der Schweizer Schriftsteller jemals einen Comic von Barks gelesen hat, weiß ich nicht, aber für mich steht fest, dass der Gedanke der "schlimmstmöglichen Wendung" sehr schön zu Barks' Schaffen passt. Dabei wurde "Die Physiker" 1962 uraufgeführt – zu einem Zeitpunkt, zu dem schon der Großteil von Barks' besten Werken veröffentlicht wurde.
Heutzutage würde man die schlimmstmögliche Wendung als Worst-Case-Szenario bezeichnen. Oder man verweist auf das allseits bekannte Murphy's Law, das besagt, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Jeder, der auch nur ein paar Disney-Comics gelesen hat, wird wohl intuitiv zustimmen, dass das sehr gut zu Donald Duck passt: Was auch immer er anpackt, mit irgendwelchen Widrigkeiten hat er immer zu kämpfen. Das ist zwar beileibe nicht immer einfach nur mit Pech zu erklären, schließlich fordert Donald häufig das Schicksal durch Naivität oder Übermut geradezu heraus. Dennoch steht es bei Barks an der Tagesordnung (oder besser gesagt Monatsordnung), dass etwas absurd Unwahrscheinliches geschieht. Im Gegensatz zu den Abenteuergeschichten sind die Zehnseiter aus dem Alltag gegriffen und haben keine übernatürlichen Elemente (naja, vielleicht abgesehen von einigen düsentrieb'schen Erfindungen). Durch das Spiel mit dem Zufall lässt Barks dieses Alltägliche aber regelmäßig ins Absurde kippen, was dann doch wieder für ungläubiges Staunen beim Leser sorgt.
Und trotzdem finde ich den Begriff der schlimmstmöglichen Wendung dann doch nicht ganz so treffend. Zum einen deshalb, weil Barks uns häufig nicht nur eine, sondern mehrere Wendungen präsentiert. Gegen Ende dreht sich die Geschichte teils noch mehrmals, sodass Donalds Stimmung innerhalb eines Panels von "himmelhoch jauchzend" zu "zu Tode betrübt" umschwenken kann. Oder eben andersherum. Und da wären wir beim zweiten Punkt: Es geht für Donald nicht zwangsweise schlecht aus, manchmal widerfahren Donald auch überraschend positive Dinge. Vor einiger Zeit bin ich mal alle Zehnseiter von Barks durchgegangen und habe mir notiert, wie es Donald am Ende ergeht. Ausschlaggebend war dabei wirklich nur das allerletzte Panel. Allerdings ist es doch eine ziemlich subjektive Angelegenheit, auch deshalb, weil manche Enden ambivalent sind. Wie bewertet man beispielsweise das Ende von "Der Bienenkrieg"? Hier liegt Donald im letzten Panel zwar bandagiert im Bett, freut sich aber immerhin über ein Honigbrot, das ihm seine Neffen reichen. Trotzdem habe ich so gut es geht versucht, den Schiedsrichter zu spielen. Das Ergebnis: 61,4% aller Geschichten enden tendenziell schlecht, bei immerhin 31,1% sah es zum Schluss aber eher gut für Donald aus. Der Rest hatte für mich ein neutrales Ende, zumindest konnte ich mich hier nicht entscheiden. Grob gesagt, gibt es also in einem von drei Fällen einen positiven Ausgang für Donald. Das ist doch gar nicht mal eine sooo schlechte Quote, oder? Jedenfalls hätte ich mit einem schlimmeren Resultat gerechnet. Vermutlich hat man das im Kopf deshalb anders abgespeichert, weil meist eben im Vorfeld viel schiefgeht und Donald seit jeher diesem Pechvogel-Image verhaftet ist.
Weil also häufig, aber eben nicht ausschließlich ein Worst-Case-Szenario vermittelt wird, verwende ich in meinen Rezensionen einen anderen Begriff: Wenn man die Handlung eines typischen Barks-Zehnseiters nacherzählen müsste, könnte man sicherlich in vielen Sätzen das Wort "ausgerechnet" unterbringen. Deshalb substantiviere ich es einfach und spreche also vom Ausgerechnet. Ob man das nicht irgendwie anders formulieren könnte? Wahrscheinlich schon, aber ich mache es nun so. Jedenfalls sollte der Begriff nicht so interpretiert werden, dass die Wendungen alle ausrechenbar seien. Das sind sie zwar teilweise schon, manchmal kündigt sich Donalds Fall am Ende ja durchaus an, gerade die erwähnten Wendungen zum Ende hin sind aber nicht unbedingt vorhersehbar. Das bereits erwähnte Kippen ins Absurde macht die Geschichten nur umso unberechenbarer. Im Prinzip kann man es auf das schöne (wenngleich als Werbeslogan missbrauchte) Motto "Nichts ist unmöglich" bringen. Barks' Zehnseiter sind einerseits in unserer alltäglichen Welt verhaftet, brechen mit ihren Unwahrscheinlichkeiten aber irgendwie doch wieder aus ebendieser heraus. Dieser Spagat ist es, der die Geschichten für mich authentisch, witzig, fantasievoll und im besten Fall genial macht.
Tja, das wäre eigentlich ein guter Schlusssatz für den Text... gewesen. Ich möchte aber noch ein paar Zeilen darüber schreiben, wie sich das "Ausgerechnet" in den Zehnseitern manifestiert. Den Großteil der Zehnseiter kann man nämlich zwei Arten zuordnen, wenngleich sie sich nicht grundsätzlich ausschließen:
Beispiele für Duell-Geschichten:
In "Anglerfreuden" zieht Gustav den Kürzeren
Dagobert und die Neffen hingegen sind natürlich nicht ausschließlich Donalds Kontrahenten. Vor allem die Neffen nehmen häufig eine gegenteilige Rolle ein, indem sie als Donalds Helfer fungieren. Manchmal sind sie damit erfolgreich, manchmal machen sie die Dinge durch ihren Aktionismus oder mangelnder Kommunikation mit Donald aber nur noch schlimmer. Das ist vor allem in den Job-Geschichten der Fall, wobei ich den Begriff "Job" so weit dehne, dass man nochmal zwischen drei Sorten unterscheiden könnte:
Wie erwähnt besteht keine feste Grenze zwischen den Duell- und den Job-Geschichten. Und es ist zwar so, dass sich erstaunlich viele Geschichten einem der beiden Typen zuordnen lassen, trotzdem gibt es immer noch eine Menge an Zehnseitern, die sich dieser Einteilung entziehen.
Vielleicht könnte man aber die Systematik noch verfeinern, wenn man sich die einzelnen Geschichten und deren Handlungsverlauf noch detaillierter anschauen würde. Jeglicher Systematisierungsversuch soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede Geschichte natürlich ihre individuellen Qualitäten hat – wie die Rezensionen hoffentlich zeigen werden!
Heutzutage würde man die schlimmstmögliche Wendung als Worst-Case-Szenario bezeichnen. Oder man verweist auf das allseits bekannte Murphy's Law, das besagt, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Jeder, der auch nur ein paar Disney-Comics gelesen hat, wird wohl intuitiv zustimmen, dass das sehr gut zu Donald Duck passt: Was auch immer er anpackt, mit irgendwelchen Widrigkeiten hat er immer zu kämpfen. Das ist zwar beileibe nicht immer einfach nur mit Pech zu erklären, schließlich fordert Donald häufig das Schicksal durch Naivität oder Übermut geradezu heraus. Dennoch steht es bei Barks an der Tagesordnung (oder besser gesagt Monatsordnung), dass etwas absurd Unwahrscheinliches geschieht. Im Gegensatz zu den Abenteuergeschichten sind die Zehnseiter aus dem Alltag gegriffen und haben keine übernatürlichen Elemente (naja, vielleicht abgesehen von einigen düsentrieb'schen Erfindungen). Durch das Spiel mit dem Zufall lässt Barks dieses Alltägliche aber regelmäßig ins Absurde kippen, was dann doch wieder für ungläubiges Staunen beim Leser sorgt.
Und trotzdem finde ich den Begriff der schlimmstmöglichen Wendung dann doch nicht ganz so treffend. Zum einen deshalb, weil Barks uns häufig nicht nur eine, sondern mehrere Wendungen präsentiert. Gegen Ende dreht sich die Geschichte teils noch mehrmals, sodass Donalds Stimmung innerhalb eines Panels von "himmelhoch jauchzend" zu "zu Tode betrübt" umschwenken kann. Oder eben andersherum. Und da wären wir beim zweiten Punkt: Es geht für Donald nicht zwangsweise schlecht aus, manchmal widerfahren Donald auch überraschend positive Dinge. Vor einiger Zeit bin ich mal alle Zehnseiter von Barks durchgegangen und habe mir notiert, wie es Donald am Ende ergeht. Ausschlaggebend war dabei wirklich nur das allerletzte Panel. Allerdings ist es doch eine ziemlich subjektive Angelegenheit, auch deshalb, weil manche Enden ambivalent sind. Wie bewertet man beispielsweise das Ende von "Der Bienenkrieg"? Hier liegt Donald im letzten Panel zwar bandagiert im Bett, freut sich aber immerhin über ein Honigbrot, das ihm seine Neffen reichen. Trotzdem habe ich so gut es geht versucht, den Schiedsrichter zu spielen. Das Ergebnis: 61,4% aller Geschichten enden tendenziell schlecht, bei immerhin 31,1% sah es zum Schluss aber eher gut für Donald aus. Der Rest hatte für mich ein neutrales Ende, zumindest konnte ich mich hier nicht entscheiden. Grob gesagt, gibt es also in einem von drei Fällen einen positiven Ausgang für Donald. Das ist doch gar nicht mal eine sooo schlechte Quote, oder? Jedenfalls hätte ich mit einem schlimmeren Resultat gerechnet. Vermutlich hat man das im Kopf deshalb anders abgespeichert, weil meist eben im Vorfeld viel schiefgeht und Donald seit jeher diesem Pechvogel-Image verhaftet ist.
Weil also häufig, aber eben nicht ausschließlich ein Worst-Case-Szenario vermittelt wird, verwende ich in meinen Rezensionen einen anderen Begriff: Wenn man die Handlung eines typischen Barks-Zehnseiters nacherzählen müsste, könnte man sicherlich in vielen Sätzen das Wort "ausgerechnet" unterbringen. Deshalb substantiviere ich es einfach und spreche also vom Ausgerechnet. Ob man das nicht irgendwie anders formulieren könnte? Wahrscheinlich schon, aber ich mache es nun so. Jedenfalls sollte der Begriff nicht so interpretiert werden, dass die Wendungen alle ausrechenbar seien. Das sind sie zwar teilweise schon, manchmal kündigt sich Donalds Fall am Ende ja durchaus an, gerade die erwähnten Wendungen zum Ende hin sind aber nicht unbedingt vorhersehbar. Das bereits erwähnte Kippen ins Absurde macht die Geschichten nur umso unberechenbarer. Im Prinzip kann man es auf das schöne (wenngleich als Werbeslogan missbrauchte) Motto "Nichts ist unmöglich" bringen. Barks' Zehnseiter sind einerseits in unserer alltäglichen Welt verhaftet, brechen mit ihren Unwahrscheinlichkeiten aber irgendwie doch wieder aus ebendieser heraus. Dieser Spagat ist es, der die Geschichten für mich authentisch, witzig, fantasievoll und im besten Fall genial macht.
Tja, das wäre eigentlich ein guter Schlusssatz für den Text... gewesen. Ich möchte aber noch ein paar Zeilen darüber schreiben, wie sich das "Ausgerechnet" in den Zehnseitern manifestiert. Den Großteil der Zehnseiter kann man nämlich zwei Arten zuordnen, wenngleich sie sich nicht grundsätzlich ausschließen:
Die Duell- und die Job-Geschichten
In den Duell-Geschichten misst sich Donald mit irgendeiner anderen Partei in irgendeiner Disziplin. Das ist aber nicht immer ein offizieller Wettkampf, häufig geht es einfach nur ums Recht haben bzw. um die Ehre – wobei natürlich meist nicht besonders ehrenhafte Mittel eingesetzt werden… Donalds häufigste Gegenspieler sind seine Neffen, wobei die meisten der etwa 50 Duelle in den 40er-Jahren ausgefochten wurden, als das Figureninventar noch nicht ganz so groß war. Ebenfalls tendenziell in Barks' Frühwerk fallen die Geschichten, in denen Donald mit tierischen Kontrahenten zu kämpfen hat. Das kennen wir bereits aus den klassischen Donald-Cartoons, an deren Storyboards Barks ja teilweise auch mitgewirkt hat. Jedoch erweiterte er schon früh den Duck-Kosmos mit seinem ersten eigenen Gegenspieler: In "Gute Nachbarn" trat Zorngiebel zum ersten Mal auf, mit dem Donald fortan erbitterte Nachbarschaftsduelle ausfechten konnte. Etwas später kamen mit Onkel Dagobert und natürlich mit Gustav Gans zwei weitere Figuren hinzu, die viele Reibungspunkte eröffnet haben. Gerade Gustav mit seinem unverschämten Glück ist natürlich ein idealer Konterpart, zumal mit dem Buhlen um Daisys Gunst ein weiteres Motiv für Streitereien gegeben ist. Auch gegen Gustav verliert Donald nicht immer, auch hier kommt es teils zu mehreren Wendungen und häufig – in etwa einem Drittel aller Duelle in den Zehnseitern – stehen am Ende beide als Verlierer da.Beispiele für Duell-Geschichten:
- Donald vs. Tiere: Der Öko-Garten (Barks' erster Zehnseiter)
- Donald vs. Neffen: Die drei dreckigen Ducks
- Donald vs. Zorngiebel: Gute Nachbarn (Zorngiebels erster Auftritt)
- Donald vs. Gustav: Die Wette (Gustavs erster Auftritt)
- Donald vs. Dagobert: Seltene Münzen
- Donald vs. Sonstige: Friedliche Ferien (vs. aufdringlicher Vertreter), Gartenfreuden (vs. verschiedene Entenhausener, die Donalds Pool benutzen wollen), Die Posten-Prüfung (vs. Spurobold)
In "Anglerfreuden" zieht Gustav den Kürzeren
Dagobert und die Neffen hingegen sind natürlich nicht ausschließlich Donalds Kontrahenten. Vor allem die Neffen nehmen häufig eine gegenteilige Rolle ein, indem sie als Donalds Helfer fungieren. Manchmal sind sie damit erfolgreich, manchmal machen sie die Dinge durch ihren Aktionismus oder mangelnder Kommunikation mit Donald aber nur noch schlimmer. Das ist vor allem in den Job-Geschichten der Fall, wobei ich den Begriff "Job" so weit dehne, dass man nochmal zwischen drei Sorten unterscheiden könnte:
- Auftrag: Auftraggeber ist hier natürlich vor allem Dagobert, für den Donald irgendetwas erledigen muss. Verfolgungsjagd am Ende nicht ausgeschlossen.
- Beruf: In diesen Fällen hat Donald meist schon zum Anfang einen neuen Beruf. Hierunter fallen auch die sogenannten "Meister seines Fachs"-Geschichten – damit ist gemeint, dass Donald seinen Beruf am Anfang noch perfekt beherrscht, er schließlich aber doch unter irgendwelchen Umständen daran scheitert. Das vergrößert natürlich die Fallhöhe. Diese Art von Geschichten findet sich eher am Ende von Barks' Schaffen.
- Fixe Idee: Manchmal hat Donald aber auch selber eine pfiffige Idee und möchte auf eigene Faust in einem bestimmten Bereich durchstarten. Es geht hier nicht unbedingt um einen richtigen Beruf, sondern teils auch einfach um Donalds Selbstverwirklichung. Im Gegensatz zu den "Meister seines Fachs"-Geschichten ist hier oft schon von Anfang an Sand im Getriebe.
Wie erwähnt besteht keine feste Grenze zwischen den Duell- und den Job-Geschichten. Und es ist zwar so, dass sich erstaunlich viele Geschichten einem der beiden Typen zuordnen lassen, trotzdem gibt es immer noch eine Menge an Zehnseitern, die sich dieser Einteilung entziehen.
Vielleicht könnte man aber die Systematik noch verfeinern, wenn man sich die einzelnen Geschichten und deren Handlungsverlauf noch detaillierter anschauen würde. Jeglicher Systematisierungsversuch soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede Geschichte natürlich ihre individuellen Qualitäten hat – wie die Rezensionen hoffentlich zeigen werden!
Von 313er (Oktober 2016)
Zuletzt aktualisiert: 10.04.2022, 17:01