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LTB 143 - Das Geheimnis der Silberleuchter

Von Mario (34)


Vom Vier- zum Dreieck.

Im "Geheimnis der Silberleuchter" führt dieser Weg quer durch Paris zum großen Finale der Schatzsuche. Vier- und Dreieck, Place des Vosges und Place Dauphine, gehören im Comic wie in der Realität zu den bedeutsamsten Plätzen der französischen Hauptstadt. Wer das LTB 143 zu seinen Lieblingsbänden zählt und ein Faible für Geschichte und Geschichten hat – für den ist wohl dort das wahre Disneyland.

Aber der Reihe nach.

Bücher schaffen bekanntlich Bilder im Kopf, regen die Fantasie an und erzeugen Neugier – und bei Comicbänden ist es nicht anders. Für Kinder, die mit dem LTB-Virus infiziert sind, stecken gute Geschichten voller loser Fäden, an denen man zupft und zerrt, bis Fantasie in die Realität ausfranst. Was fängt ein Volksschüler sonst schon mit den Namen Dante Alighieri oder Hunnenkönig Attila an? Eben. Und das sind nur zwei historische Gestalten, die in den Lustigen Taschenbüchern der ausgehenden Achtziger und frühen Neunziger zum Leben erweckt wurden.

Außergewöhnlich realitätsnah präsentierte sich das Lustige Taschenbuch in seiner 1990 erschienen 143. Ausgabe. "Das Geheimnis der Silberleuchter" hätte auch der Titel einer typischen Schatzsuche sein können. Stattdessen erwartet uns ein Monument an literarischen Querverweisen und historischen Vorbildern, die mit einer Hommage an "Les Misérables" ihren Anfang nimmt...

Die Hauptgeschichte ist selbst ein Sinnbild dafür, wie spielerisch die Lustigen Taschenbücher dieser Zeit Wissen vermitteln konnten – das zeigen schon die ersten Panels. "Das Geheimnis..." wird von einer in Entenhausen heiß ersehnten Verfilmung von Victor Hugos "Elenden" eingeleitet. Respektive: deren Ausfall wegen Donalds kaputtem TV, was seine Neffen wenig freut und Dagobert zu seiner persönlichen Version des Stoffs bringt. Ohne unnötigem Konservativismus das Wort zu reden oder elitäre Ansprüche zu befriedigen: Eine Geschichte, in der Kinder wegen einer verpassten Literatur(!)verfilmung die Krise bekommen und dann gebannt der Erzählung des alten Mannes zuhören, muss man erst einmal finden. (Ohne erhobenen Zeigefinger noch dazu!) Diesen Mut, in Abenteuergeschichten gleich auch Bildung zu verpacken, findet man im ganzen Band... oder nur ich in mir selbst? Als ich gut zwanzig Jahre nach Erscheinen des LTB tatsächlich auch "Les Misérables" lese, entdecke ich Querverweis und Querverweis. Zum Teil so detailliert, dass ich die Handlung des Romans schon kapitelweise vorhersagen kann und nur mehr geistige Hakerln mache, wenn sich die Szenen entspinnen. Es gibt aber keinen Grund, "Das Geheimnis..." mit einer Spoilerwarnung zu versehen. Wie im Comic schon gesagt: Der gute alte Dagobert nimmt sich etliche Freiheiten und die Ducks und Panzerknackers im LTB ein weniger "elendes" Ende als ihre literarischen Vorbilder.

Aber nicht nur der Inhalt bedient sich an der Realität, auch die Bilder fangen den Geist des Frankreichs im 19. Jahrhundert ein. Die Handlung entspinnt sich an Originalschauplätzen wie der Kathedrale von Notre-Dame oder der Rue Rivoli, die unaufdringlich in Szene gesetzt oder stilgetreu erfunden sind – es ist ja trotz allem keine Sightseeing-Tour. Daher bleiben auch Zeichnungen im Kopf, die fiktive Orte zeigen. Das Hauptquartier der Ganoven in der Kanalisation zum Beispiel, aber auch die schlichten Häuser des jungen Bürgertums. Dort sitzt Donald als gedankenverlorener Romancier und Poet in seiner Mansarde und blickt bei Kerzenschein über die Dächer von Paris – das eine oder andere Mal konnte ich mich darin wiedererkennen.


Apropos Wiedererkennen. Das LTB 143 ist eines der wenigen "Konzeptalben". Es steht zu zwei Dritteln im Thema französischer Geschichte und Politik – toll! Schließlich haben das 18. und 19. Jahrhundert nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa geprägt. Es gelingt sogar, ein schweres Thema wie die Französische Revolution hintergründig zu transportieren – in der Verwechslungskomödie "Die gefürchtetste Klinge des Landes" erlebt das Maus-Universum den Fall der absoluten Monarchie. Ja, auch Micky kann Französisch. Und wieder ist eine Literaturvorlage der Ausgangspunkt. Diesmal der historische Roman "Scaramouche" – nicht ganz prominent genug, um den Weg in mein Bücherregal zu schaffen, ich geb’s zu. (Es ist auch legitim, auf den Buchtitel den inneren Freddy Mercury folgen zu lassen und "...will you do the Fandango?" zu schmettern.) Micky als Adeliger, Goofy als Revoluzzer und Kater Karlo als böser Marquis – weniger real als die "Elenden", aber stimmig und mit einem Hauch Sarkasmus ausgestattet. Und wenn ich daran denke, wer am Ende der Geschichte noch die Hosen anhat, freue ich mich über die merkbare Emanzipation weiblicher Charaktere. Und plötzlich steckt sogar hier noch ein Stück Aufklärung...

Und dann wäre da noch die Sache mit den Taschenkrebsen aus Goldonien. Eine überraschend kurze und doch wunderbar dichte Schatzsuche mit dem impulsiven Onkel Dagobert – aus Entenhausen diesmal, nicht aus den französischen Wäldern. Und gesucht wird nicht etwa Gold oder Silber - kann jeder, kennt jeder. Nein, Ambra ist es diesmal. Am... was? Nur ein sehr, sehr teures Material zur Parfümherstellung, wie ich durch Primus von Quack erfuhr. Es dürfte das einzige Mal in 500 Ausgaben sein, dass es in einem LTB so prominent vorkommt. In Erinnerung ist mir die Geschichte aber auch wegen ihres trockenen Humors geblieben, sowohl in Wort als auch in Bild. So sonnt sich Donald auf dem Deck des Expeditionsschiffs (Dagobert ist großzügig mit ihm) und "bemerkt" zu spät, dass um ihn herum die Eisberge treiben. Schnatternd und bibbernd alarmiert er seinen Onkel. Im Gegensatz zu manch anderen dieser Szenen reagiert jener aber nicht aufbrausend oder temperamentvoll, sondern geradezu lakonisch mit einem "Ist mir auch schon aufgefallen – zieh das an." (Einen Pelzmantel.) Ob Dagobert hier Schwede statt Schotte ist...?

Die Geschichte "Das verlorene Testament" schließlich ist ein Ausflug in eine ungewohnte Welt. Dass Micky und Goofy in die Vergangenheit reisen, hat uns, wie oben geschrieben, schon viele historische Abenteuer an spannenden Orten beschert. Aber auch auf einem alten Dampfer lassen sich spannende Geschichten erzählen - mit Käpt'n Orang auch dank einem der außergewöhnlicheren Mickey-Gegner. Und wenn man sich dann noch Berichte über Geisterschiffe und versunkene Ozeanriesen zur Gemüte führt,... fesselnd!

Alles in allem ist LTB 143 mehr als eine Zeitreise. Es ist eine historische Fantasiereise, auf der man nicht nur allerlei erfährt, sondern die auch einfach irrsinnig neugierig macht. Vergesst Disneyland und Co. - lest die Bücher, lest die Geschichten und spaziert vom Vier- zum Dreieck. Es lohnt sich!



Zuletzt aktualisiert: 07.10.2022, 18:01
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